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Hansjoerg Dobliar
Low Tec

22.01. – 15.02.2015

Eröffnung: Mittwoch, 21.01., 19 Uhr
Finissage: Sonntag, 15.02., 14 Uhr



(1)
Als im Jahr 2234 die Argonauten die Sonne erreichen und der Stahlpanzer ihres Raumschiffs in das gleißende Weiß des Strahlenkranzes eintaucht, verschmelzen Mensch, Maschine und Sternenmagma zu quecksilbrigem Gold, das sich spritzend mit der brodelnden Sonne vereint. Zu Tropfen zerstoben verdampft das Schiff im erlöschenden Licht – die Sonne verblasst: Besiegt und tödlich getroffen versinkt ihr endlich errungenes goldenes Vlies in ewiger Dunkelheit.
(2)
Der sonnenhafte Kraftmensch entsteigt ihrer Asche – das 20. Jahrhundert beginnt.
(3)
Technologischer Fortschritt und Abstraktion ziehen als neue Fixsterne am Himmel auf. Ihre elektrischen Funken dringen in alle köhlernen Poren der Weltsubstanz, Stromstöße wirbeln die Elementarteilchen zu flimmernden Staubwolken auf, Elektroschocks durchzucken die lebendigen Seelen.
(4) Die Materie funkt, die Mentalhülle schwingt. Und das Sägemehl leuchtet wie Sonnenfunken. Schöne schreckliche Moderne. Schöne schreckliche Geschwister: Technik und Abstraktion.

(1)
In seinem Text »Die Argonauten« beschreibt Andrej Belyj 1904 mit der Metapher der Argonautenfahrt den Aufbruch des Menschen zur Sonne als Aufbruch in ein neues geistiges Zeitalter. »Das goldende Vlies« war eine symbolistische Zeitschrift und Künstlervereinigung, die von 1906 bis 1909 in Petersburg bestand. Ihr gehörte unter anderem Aleksandr Blok an.
(2)
Die Oper »Sieg über die Sonne« wurde 1913 in Sankt Petersburg uraufgeführt. Das Libretto stammt von Alexej Krutschenych, die Musik von Michail Matjuschin und die Kostüme sowie das Bühnenbild von Kasimir Malewitsch. 1923 hat El Lissitzky eine gleichnamige Mappe mit Druckgrafiken realisiert. Das Stück handelt davon, wie der Mensch die Sonne besiegt und vom Himmel auf die Erde holt.
(3)
Zur Verbindung zwischen technologischen Neuerungen und Abstraktion sowie zwischen Okkultismus und Avantgarde vgl. gleichnamigen Ausstellungskatalog, hrsg. 1998 von Veit Loers. Zur Elektroschocktherapie vgl. u.a. Antonin Artaud.
(4)
Die Textstellen beziehen sich auf den Roman »Die weiße Taube« von Andrej Belyj, der 1905 in Petersburg erschienen ist. Die Sekte der »Tauben« erwartet darin inmitten der gesellschaftlichen Umwälzungen Russlands die Geburt eines neuen Erlösers.

Hansjoerg Dobliar (geb. 1970 in Ulm) grei
ft in seinen Ölbildern, Zeichnungen und Übermalungen vielfach Bildmotive der klassischen Moderne und des Expressionismus auf und überführt diese in seinen meist großformatigen Bildern in Öl auf Leinwand in eine opulente, zugleich ironisch-trashige Bildsprache. Die Auswahl der im Kunstraum gezeigten Arbeiten konzentriert sich weniger auf die klassischen Leinwand-Bilder Dobliars, sondern auf eine Reihe von Übermalungen und Zeichnungen sowie Prints, die auf »armen« Materialien wie Verpackungskartons, Malunterlagen, Plakatabrissen etc. ausgeführt sind. Die Ausstellung widmet sich damit den eher beiläufig während des Malprozesses entstandenen Nebenprodukten, auf denen Dobliar mit wenigen, sparsam eingesetzten malerischen Eingriffen agiert. Die maltechnisch bewusst eher unterinvestierten und farblich gedämpften Bilder korrespondieren mit inhaltlichen Bezügen zu technologischem Fortschritt und thematisieren so die grundlegend ambivalente Spannung zwischen Technik und Abstraktion, wie sie für die Kunst nach 1900 charakteristisch ist. In ihrer Reduktion und Fragilität lassen die Arbeiten eine Ästhetik des Flüchtigen und Lapidaren für die Gegenwart produktiv werden, die die allgemeinen Fragen nach dem Verhältnis zwischen Schönheit und Schrecken der Moderne, zwischen Romantik und Kritik, zwischen Emphase und malerischer Distanz, erneut aufwirft.

Kuratiert von Daniela Stöppel