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ℳahlergruppe
Of Two ℳinds
11. April – 26. Mai 2013

Of Two Minds. Mahlergruppe – in diesem Ausstellungstitel scheinen einige Widersprüche zu stecken. „Of two minds“ suggeriert zwei Köpfe, zwei Ansichten oder Absichten. Die englische Phrase „to be of two minds“ bedeutet ins Deutsche übersetzt allerdings auch, sich nicht entscheiden zu können, unschlüssig zu sein. Spielt der Titel etwa auf ein gescheitertes Ausstellungskonzept an? Standen sich hier Zwei im Weg? Oder ist es vielmehr so, dass erst aus den „two minds“ eine „third mind“ entsteht, ein produktives drittes Ich? „The third mind“ wiederum ist der Titel eines Gemeinschaftsbands der Beat-Poeten William S. Burroughs und Brion Gysin, der Ende der 1970er Jahre erschien. Das Buch ist eine Art Textsammlung zerschnittener und neu zusammengesetzter Schriftfragmente, ein literarisches Verfahren, das der Collagetechnik der bildenden Kunst entlehnt ist und darin einerseits die autonome Autorschaft und lineare Erzählstrukturen dekonstruiert, andererseits für eine produktive kollektive Zusammenarbeit steht. Aus zwei mach drei – ist das die Lösung? Warum dann der Name „Mahlergruppe“? Eine Gruppe ist doch eine größere Vereinigung, die aus mehreren, mindestens drei, jedenfalls nicht zwei Personen besteht. Tatsächlich ist Mahlergruppe jedoch ein Künstler-Duo, gegründet 2008 in München, das nun im Kunstraum München seine erste Einzelausstellung in institutionellem Rahmen einrichtet.

Die Gruppe – oder das Kollektiv: man denkt an Stärke, Zusammenhalt, ein Gefühl der Sicherheit durch Zugehörigkeit und Anonymität, übergeordnete Ideologien. Es gibt Gruppen, die vereinen die Mehrheit auf sich; daneben existieren Randgruppen. Als Teil einer Randgruppe, einer gesellschaftlichen beispielsweise, hat man es gleichsam schwerer, unter Umständen kommt einem aber auch eine Vorreiterrolle zu. Oft verfolgt eine Randgruppe eine Utopie, versucht sie außerhalb der Strukturen des gesellschaftlichen Mainstreams zu leben. Solche Versuche jagen oft einem disparaten Ideal hinterher und so kann aus der Utopie eine Dystopie werden. Dystopisch waren die Zustände auch in den späten 1980er und frühen 90er Jahren im Züricher Platzspitzpark. Dort verkehrte als Ergebnis einer offenen Drogenpolitik der Stadtregierung Zürichs zeitweise eine drogenkonsumierende Community von täglich bis zu 3000 Personen aus ganz Europa. Einige der Menschen lebten in provisorischen Lagern im Park, andere kamen vorbei um sich zu versorgen. Der Platzspitz fand weltweit unter dem Namen „Needle-Park“ Beachtung, weil er damals die größte offene Drogenszene war und die erste, der man nicht nur mit Repression sondern vor allem mit Krankheitsprävention zu begegnen suchte. Die Ärzte einer medizinischen Einrichtung mitten im Needle-Park leisteten nicht nur Nothilfe, sondern tauschten täglich bis zu zehntausend, jährlich mehrere Millionen Spritzen und Nadeln aus, um die Verbreitung von Aids und Hepatitis einzudämmen. Der Züricher Needle-Park als Sinnbild eines krankhaften gesellschaftlichen Aussteigertums, verwurzelt noch in der Protesthaltung von 1968. Mahlergruppe hat dieses ambivalente Bild in ein großformatiges Gemälde übertragen, das in der Ausstellung neben anderen Werken zu sehen ist. Die Themenwahl knüpft an frühere Arbeiten des Duos an, das sich stets auf der Basis figürlicher Darstellung auf politisch-gesellschaftliche Themen bezieht.

Die Schau zeigt des Weiteren eine raumfüllende Skulptur, die mit einem aufgesprayten Schmollmund an der Front und zwei stilisierten Augen an den Flanken an das Kreuzfahrtschiff Aida erinnert. Die Skulptur ist aus industrieller Massenware hergestellt, aus gewellten Kunststoffplatten, die üblicherweise für Gewächshäuser zum Einsatz kommen. In diesem Fall sind die Platten das Relikt einer vergangenen Messepräsentation von Mahlergruppe, für die sie die Platten, mit weißer Farbe bemalt, als Präsentationsfläche für ihre Gemälde benutzte. Thematisch bildet Aida den Gegenpol zur Junkie-Szenerie: der selbstzerstörerischen Randgesellschaft des Needle-Parks wird ein fragliches Ideal der Freizeit- und Unterhaltungskultur entgegengehalten: der Mikrokosmos Kreuzfahrtschiff, ein eher affirmatives Modell des Ausstiegs auf Zeit.

Bestandteil der Ausstellung ist außerdem eine sechsteilige Serie von Drucken, die motivisch auf Details der gezeigten Gemälde zurückgreifen. Bezeichnend für Mahlergruppes künstlerische Haltung ist vor allem ihr Herstellungsverfahren: Als „Druckstock“ dienten Reste von Jeansstoff und Leinwand, auf die sie mit flüssigem Heißkleber die motivischen Vorlagen gezeichnet hat. Um noch einmal auf die Anfangsgedanken zurückzukommen: Mahlergruppe ist ein produktives Künstler-Duo, zwei Minds, die einer größeren Unternehmung voran zu stehen scheinen. Diese könnte sein: gesellschaftlich-historische Themen zu verhandeln und dafür gemeinsam eigene bildnerische Erzählstrukturen zu finden.

Kuratiert von Sabine Weingartner

Die Ausstellung wird von der Erwin und Gisela von Steiner Stiftung München gefördert.